Grenzerfahrungen — von Korruption und Willkür

Die Zeit vergeht inzwischen sehr schnell. Wir merken es daran, dass unser Vier-Wochen-Visum schon bald ausläuft. Genaue Informationen, wie und wo man das Visum verlängern kann, sind schwer zu bekommen. Mit der ungefähren Auskunft, dass es wohl 2000 Dalasis (28€) pro Visum kostet und bei einer Wiedereinreise normalerweise kein kostenloses neues Visum ausgestellt wird, mache ich mich auf den Weg an die Grenze. Die ist glücklicherweise, in Gambia nie weit entfernt. Die 10000 Dalasis (130€), die ich für die 5 Visa mitführe sind in 200 Dalasi-Scheinen (knapp 3€) gebündelt ein ganzer Haufen Geld, sodass ich mich schon etwas unwohl fühle.

Ein netter Anwohner hilft mir, den richtigen Geli-Geli Bus nach Amdallai (ca 30km) zu finden und verrät mir den echten Preis (50 Dalasi ~ 70ct). Mangels passendem Schein zahle ich mit einem Hunderter und bekomme prompt kein Rückgeld. Vielleicht hat er gerade noch keins, mein Englisch versteht er wohl nicht (?). Naja, die Fahrt dauert noch ein bisschen, ich bekomme es bestimmt, sobald weitere Fahrgäste bezahlt haben. Irrtum. Der Kontrolleur hängt ganz hinten außen an der offenen Hecktür, ich sitze dummerweise ganz vorne. Ich klettere nach hinten und versuche ihm deutlich zu machen, dass ich noch Wechselgeld bekomme. Zögerlich rückt er einen 50 Dalasi Schein heraus. Dies ist leider ein typisches Phänomen, das das Einkaufen als Weißer zu einer Herausforderung macht, vor allem wenn man keine Ahnung vom Preis hat.

In Amdallai an der Grenze herrscht reges Treiben. LKWs stehen in langen Schlangen, fliegende Händler, Geldwechselstuben, Bettler, SIM Kartenverkäufer… hier sind sie besonders hartnäckig, besonders mir gegenüber. Fotos werde ich heute nicht viele machen. Ich falle so schon mehr auf, als es mir lieb ist.

Es ist mein Plan, in den Senegal einzureisen und bei meiner Wiedereinreise nach Gambia ein neues Touristenvisum zu bekommen. Alles unübersichtlich und chaotisch hier… Ich sehe eine lange Menschenschlange vor einer Reihe von Schaltern. Dort stelle ich mich auch mal an. Es ist laut. Als ich an der Reihe bin, schreit und gestikuliert der Grenzbeamte, aber ich kann nichts verstehen. Ich werde hereingewunken. Hier bin ich bei der sengalesischen Grenzpolizei gelandet. Um in den Senegal einreisen zu können muss ich aber erst aus Gambia ausreisen.

Das Büro der gambischen Grenzpolizei liegt etwas abseits der Grenze in einem schäbigen Gebäude, in einem Hinterzimmer. Bevor ich rein darf, muss ich allerdings noch in ein anderes Büro. Ein sehr junger und freundlicher Mann notiert meine Daten in einem Buch, mein Reiseziel, meinen Beruf… Ich frage, was das hier ist. „State Intelligence Services“, gambischer Nachrichtendienst. „For your safety!“ Für weitere Fragen soll ich mich an seinen Chef wenden. Dieser hängt auf einem Stuhl im Eck des Zimmers, sein Handy in der Hand, ein Bein auf dem Tisch, und sieht überhaupt nicht wie der Chef eines Nachrichtendienstes aus. Besonders viel Geld scheint man in dieser Position nicht abschöpfen zu können.

Die Grenzpolizei fragt mich dieselben Dinge noch einmal und trägt sie in ein Buch ein. Als der Grenzpolizist mein fast abgelaufenes Visum sieht, fängt er an zu grinsen. Er hat wohl meinen Plan durchschaut. „What’s the problem?“, frage ich unschuldig, bekomme aber keine Antwort. Er grinst nur noch breiter und sagt „okay, I will help you.“ Mit einem merkwürdigen Gefühl verlasse ich das Büro.

Zurück am sengalesischen Grenzschalter gibt es die nächsten Probleme. Angeblich brauche ich zur Einreise meinen Impfpass. Dieser liegt aber zuhause in Deutschland. Der digitale Scan auf meinem Handy reicht auch nicht aus. Der Beamte sagt, er müsse mich jetzt zurück nach Gambia deportieren. Dies sei aber überhaupt nicht in seinem Sinne, denn das nütze ihm nichts. Und er möchte mir keine Umstände bereiten, deshalb könne ich für 5000 CFA (~7,50€) auch ohne Impfpass einreisen. Ich habe das Geld nicht, antworte ich wahrheitsgemäß, denn ich habe den Rucksack nur voller Dalasis. Ich werde nicht mehr beachtet. Ich warte… Nach einiger Zeit wird mir nochmal erklärt, dass ich nicht ohne Impfpass einreisen kann und zahlen müsse. Ich werde nicht zahlen, sage ich. Lieber gehe ich zurück nach Gambia. Der Beamte wird etwas wütend. Sagt dann aber, dass er heute seinen sozialen Tag hat. Er nimmt den Stempel und haut ihn auf meinen Pass. Ich darf gehen.

Ich laufe planlos durch des senegalisische Grenzstädtchen. Alles fast wie in Gambia. Nur die Sprache ist nun Französisch, statt Englisch. Und die großen Werbeplakate an den Straßen haben die Farbe gewechselt. Andere Firmen, die hier das Monopol auf Mobilfunk und Geldwechsel haben. Was mache ich jetzt? Ich kann ja schlecht gleich wieder zu den netten Grenzbeamten zurück. An der Hauptstraße werde ich viel belästigt. Deshalb laufe ich quer durchs Dorf. Unter einem schattigen Baum neben einer Müllkippe veranstalten Jungs Ringkämpfe im Sand. Ich setze mich und schaue zu. Die Kinder sind sehr neugierig, bald bin ich umzingelt. Auch wenn verbale Kommunikation schwer ist, ist es doch eine intensive Begegnung.

An der nächsten Ecke unter dem nächsten großen Baum komme ich mit Seydou, 21 Jahre, ins Gespräch. Sofort wird mir ein Stuhl angeboten. Er spricht sehr gut französisch. Er studiert in einer der öffentlichen Universitäten der Hauptstadt Dakar Jura – eigentlich – denn die Einrichtung ist aufgrund verschiedener Probleme seit Monaten geschlossen. Auf einen gut bezahlten Job nach seinem Studium hofft er nicht. Er wird sich wohl auch mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen. Nach Europa würde er sehr gerne gehen um dort zu arbeiten. Er entdeckt meinen Ehering und fragt, ob das bedeutet, dass ich verheiratet bin, und ob meine Frau das auch hat. Warum haben die Männer in Europa nur eine Frau? Er ist überzeugt, dass es im Senegal deutlich mehr Frauen als Männer gibt. Ich erkläre ihm, dass wenn es in Europa möglich wäre, mehrere Frauen zu haben, es auch andersrum möglich sein müsste, dass Frauen mehrere Männer haben, weil Mann und Frau gleichberechtigt sind. Er sieht ein, dass es dann schwierig werden könnte.

Ich mache mich auf den Rückweg nach Gambia. Die Ausreise aus Senegal klappt problemlos. Spannend wird es bei der gambischen Grenzpolizei. Der Beamte hat sofort sein Grinsen wieder im Gesicht. Er erklärt mir, dass ich kein neues Visum bekomme, sondern mein altes weiter gilt. Für ein neues Touristenvisum müsse ich zahlen. Wir diskutieren eine Weile. Währenddessen wird der Andrang im Büro immer größer und ich lasse mich nicht zur Seite drängen. Schließlich nimmt er den Stempel und macht mir ein neues Visum in meinen Pass. Ich darf gehen.

Ich triumphiere. Ich bin zwei Mal einer Schmiergeldzahlung entkommen und habe es geschafft, umsonst an ein neues Visum zu kommen. Für den Rest meiner Familie habe ich das Problem des ablaufenden Visums aber noch nicht gelöst. Morgen zurück zu kommen und das ganze Prozedere nochmal mit meinen Kindern zu machen kommt kaum in Frage. Und dann wäre auch fraglich, ob alles so klappt, wie bei mir. Deshalb gehe ich mit den restlichen vier Pässen wieder zurück zum netten Grenzbeamten. Ich erkläre ihm unsere Situation und bitte ihn, in diese Pässe auch einen neuen Stempel zu machen. Jetzt wird er aber wütend. So funktioniere es nicht in Gambia. Ich müsse jetzt zahlen… und zwar für mein Visum und alle weiteren Visa, 2000 Dalasis (28€) pro Stück. Zum Glück habe ich Bündel von 2000 Dalasis vorbereitet. Ich lege zwei davon auf den Tisch und erkläre, das ich nicht mehr Geld dabei habe, weil ich davon ausging, dass die Kinder umsonst sind. Er nimmt das Geld und gibt mir tatsächlich alle Visa-Stempel. Meine Forderung nach einer Quittung für die Zahlung hat aber leider keinen Erfolg. „It’s not usual in the Gambia“, versichert er mir. Mein Geld ist schon weg, keine Chance mehr… und damit kann ich mir sicher sein, dass das Geld an keiner offiziellen Stelle ankommt, sondern in seine eigene Tasche wandert. Eine riesige Summe für afrikanische Verhältnisse. Ich werde innerlich wütend und möchte gehen. Aber er ist noch nicht fertig. Er gibt mir seine Handynummer. Das nächste Mal soll ich ihn direkt kontaktieren, dann erledigt er diese Angelegenheit für mich. „We are getting friends, bit by bit“, grinst er mich an. Ich frage noch, was es dann das nächste Mal kostet und er entgegnet nur „I will tell you!“.

Frustriert laufe ich auf die Straße und werde sofort von hartnäckigen Geschäftsleuten umringt. Ich rette mich in einen Kleinbus, doch der ist noch nicht voll und wartet deshalb. Auf dem freien Sitz neben mir kommen mir bettelnde Kinder sehr nahe, die hier so penetrant wie bisher noch nie sind. Auch eine junge Frau möchte noch durch ihre konsequente Anwesenheit und Sturheit zum Kauf von Mandarinen nötigen. Endlich fährt der Bus los.

Penetranter Bettlerjunge

In meinem „Heimatort“ Essau werde ich lieb von einem Trupp Mädels aufgeheitert. Schon öfter habe ich ihre kleinen, ausgestreckten Hände geschüttelt, wenn ich vorbeilaufe. Zum Glück ist Essau kein Ort an der Grenze. Es fühlt sich an wie nach Hause kommen.

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